In der Tiefe meiner Tasche

Collage

In der Tiefe meiner Tasche wohnt ein Pferdchen,
das bewacht die Schlüssel und die Bärtchen.
Das wiehert, wenn ich in der Tasche krame,
das schnaubt wenn jemand an die Tasche haut,
das bewegt die Hufe, wenn ich in der Tasche etwas suche
und ich muss sagen: ich suche oft und lang.
Denn meine Tasche ist ein tiefer, tiefer Graben.
Was ist darin? Nun ja, das was alle haben.
Ich hab darin den Schlüssel und das Geld.
Ich hab darin das Heft, den Stift und Margarine.
Ich hab 'nen Bungalow und eine Spitzmaschine,
eine Wasserflasche hab ich in der Riesentasche,
und um die Flasche zu voll zu machen, einen See.
Ich hab auch einen Staudamm in der Tasche,
damit der See nicht in die Tasche läuft,
wenn ich in der Stadt spazieren gehe.
Meine Tasche hat auch Pflaster, Cremes und Pasta
für die Zähne, eine Bürste, einen Kamm, viele Bücher
und ein Hochgebirge, mit Wegen und mit Almen.
Darauf tollt das Pferdchen, unter Palmen,
die ich auch in meiner Tasche haben, neben Kinokarten,
Pflanzenarten, einem mittelgroßen Garten
und dem Reisepass, wenn ich verreise.
Hab ich schon erwähnt, es gibt auch eine Meise,
und den guten Freund der Meise, einen Enterich.

Manchmal wird es in der Tasche etwas stürmisch.
Ich kenne ein paar Leute, die finden das natürlich.
Wenn die Meise mit dem Pferdchen schwimmen geht,
oder wenn der Enterich die Schafe durcheinander bringt,
Ach, dass es Schafe gibt, das erwähnte ich? Nein, nicht?
Nun ja, es gibt in meiner Tasche davon ganze Herden.
Es gibt auch einen Schraubenzieher, denn hin und wieder
brauch ich Werkzeug, einen Hammer und ein Taschenmesser.
Und außerdem wohnt in der Tasche mein Professor,
mit einem Bart und einer Bibliothek, die sehr schwer ist.
Ich weiß nicht, wie die Tasche aussieht, wenn sie leer ist,
ich weiß nicht, ob die Tasche schwer ist, wenn sie leer ist,
doch wenn sie voll ist, hab ich wirklich schwer zu tragen.
Tscha, vielleicht könntet ihr mir sagen, was sie leichter macht?

Soll ich den See auskippen?
Nein, denn woran soll das Pferdchen nippen?

Soll ich die Meise der Tasche verweisen?
Nein, dann müsst ich ja alleine verreisen.

Soll ich auf den Hammer verzichten?
Wie soll ich dann das Hämmern verrichten?

Was ist mit dem Enterich?
Also, den Enterich, den brauche ich.

Oder lass die Bücher zuhaus?
Aber, aber, wo les ich dann draus?

Das Heft und den Stift, gib sie her.
Aber die beiden sind doch wirklich nicht schwer.

Dann lass wenigstens den Staudamm zuhause,
aber dann tobt in der Tasche Wasser wie Brause!

Das Gebirge ist natürlich kein leichtes Ding -
doch wie gerne ich im Gebirge bin.
Wirf die Palmen aus der Tasche, oder auch die Wasserflasche!
Nein, die Palmen spenden Schatten! Und wenn ich Durst hab
will ich trinken, wenn die Palmenblätter tapfer winken!
Auch der Enterich isst gerne Margarine, wenn der Stift abbricht,
brauch ich die Spitzmaschine, und wenn es in der Tasche stürmt – den Bungalow.
Für die Meise, für das Pferdchen, den Professor
und den Enterich und nicht zuletzt für mich,
wenn ich müde bin vom Tragen.

von Monika Rinck